Durch inneren Frieden zum Weltfrieden

Rede S.N. Goenkas auf dem Millennium Weltfriedensgipfel, UN General Assembly Hall, Vereinte Nationen, NewYork, 29. August 2000

Ende August 2000 nahm S.N. Goenka am Millennium Weltfriedensgipfel teil. Ca. Tausend religiöse und spirituelle Lehrer trafen sich im UN Hauptquartier unter der Schirmherrschaft des Generalsekretärs der Vereinten Nationen Kofi Annan mit dem Ziel der Förderung von Toleranz, Frieden und interreligiösem Dialog. Viele verschiedene Standpunkte wurden präsentiert und das Potenzial an Meinungsverschiedenheiten war groß. S.N. Goenka versuchte in seiner Rede vor den Delegierten zu betonen, was allen spirituellen Wegen gemeinsam ist, nämlich das universelle Dhamma. Seine Ausführungen wurden wiederholt mit großem Applaus bedacht. Nachfolgend wird seine Rede in Auszügen wiedergegeben:

Freunde, Lehrmeister der spirituellen und religiösen Welt - dies ist eine wundervolle Gelegenheit, bei der wir uns alle zusammentun und der Menschheit dienen können. Religion ist nur dann Religion, wenn sie uns einigt; wenn sie uns entzweit, ist sie nichts.

Viel wurde hier über Konversion gesprochen, es gab Argumente dafür als auch dagegen. Nun, ich bin keiner, der Konversion ablehnt, ganz im Gegenteil, ich bin sehr dafür, aber nicht, wenn es sich um die Konversion von einer organisierten Religion in eine andere handelt. Nein, es muss eine Konversion vom Elend zum Glück sein. Sie muss von der Knechtschaft zur Befreiung führen, von Grausamkeit zu Mitgefühl. Das ist die Konversion, die wir heutzutage brauchen, und das ist auch das Ziel, zu dem dieses Treffen führen sollte.

Das uralte Land Indien stiftete der Welt und der ganzen Menschheit eine Botschaft des Friedens und der Harmonie, aber das Land hat noch mehr getan: Es stiftete eine Methode, eine Technik mit deren Hilfe man Frieden und Harmonie erlangen kann. Mir scheint, dass wir, wenn wir Frieden in der menschlichen Gesellschaft erreichen wollen, das Individuum nicht ignorieren können. Wenn es im Geist des Einzelnen keinen Frieden gibt, dann verstehe ich nicht, wie Frieden in der Welt entstehen soll. Wenn ich einen aufgeregten Geist habe, der immer voller Ärger, Hass, Missgunst und Feindseligkeit ist, wie kann ich dann der Welt Frieden geben? Ich kann es nicht, denn ich habe selbst keinen Frieden. Erleuchtete Menschen haben deshalb gesagt: "Finde zuerst Frieden in Dir selbst." Man muss sich prüfen, ob es tatsächlich Frieden im eigenen Inneren gibt. Alle Weisen, Heiligen und Seher dieser Welt erteilten den Rat: "Erkenne Dich selbst". Damit war nicht lediglich das Wissen auf der intellektuellen Ebene gemeint oder das emotionale Akzeptieren aus Verehrung oder religiöser Hingabe, sondern das Erkennen durch tatsächliches 'Erfahren' der Realität. Wenn Sie die Wahrheit über sich selbst in Ihrem eigenen Innern erfahren, durch direktes persönliches Erleben, dann finden die Probleme des Lebens ihre eigene Lösung.

Sie beginnen, das universelle Gesetz zu verstehen, das Gesetz der Natur - oder, falls Sie das vorziehen, das Gesetz des allmächtigen Gottes. Dieses Gesetz gilt für alle: Wenn ich Ärger, Hass, Missgunst oder Feindseligkeit erzeuge, dann bin ich selbst das erste Opfer meines Ärgers. Ich bin das erste Opfer der Gefühle von Hass oder Feindseligkeit, die ich in meinem Innern erzeugt habe. Zuerst schade ich mir selbst, erst danach beginne ich anderen zu schaden. Das ist das Gesetz der Natur. Wenn ich meine Innenwelt beobachte, dann erkenne ich, dass, sobald eine Negativität in meinem Geist entsteht, eine körperliche Reaktion erfolgt: Mein Körper wird heiß und beginnt zu brennen, mein Herz klopft und ich fühle mich angespannt und elend. Und wenn ich Negativitäten in mir erzeuge und dadurch unglücklich werde, dann behalte ich dieses Elend nicht etwa für mich, sondern streue es um mich und verteile es so auch auf andere. Ich mache die ganze Atmosphäre um mich herum so angespannt, dass jeder, der in meine Nähe kommt, ebenfalls unglücklich werden muss. Ich spreche zwar von Frieden und Glück, aber viel wichtiger als Worte ist das, was in meinem Innern geschieht. Und wenn mein Geist frei von Negativitäten ist, dann beginnt genau das gleiche Naturgesetz zu wirken. In dem Moment, in dem keine Negativität im Geist ist, belohnt mich die Natur - oder der allmächtige Gott - und ich fühle mich voller Frieden. Auch das kann ich in meinem Innern beobachten.

Egal welcher Religion, welcher Tradition oder welchem Land man angehört: Wenn man das Naturgesetz bricht und Negativitäten im Geist erzeugt, muss man leiden. Die Natur selbst sorgt für die Strafe. Diejenigen, die das Naturgesetz brechen, beginnen hier und jetzt das Leid des Höllenfeuers in ihrem Innern zu spüren. Der Same, den sie sähen, ist der Same des Höllenfeuers, und was sie nach dem Tod erwartet, ist nichts als Höllenfeuer. Dasselbe Naturgesetz sorgt auf der anderen Seite auch dafür, dass ich das Königreich des Himmels hier und jetzt in meinem Innern erfahre, wenn ich meinen Geist rein halte, voll von Liebe und Mitgefühl. Und der Samen, den ich sähe, wird als Frucht das Königreich des Himmels nach dem Tod hervorbringen. Es macht keinen Unterschied, ob ich mich Hindu, Muslim, Christ oder Jain nenne: Ein Mensch ist ein Mensch; ein menschlicher Geist ist ein menschlicher Geist.

Wir brauchen eine Konversion von der Unreinheit des Geistes zur Reinheit des Geistes, und diese Konversion verändert Menschen auf eine wunderbare Weise. Da sind keine Magie oder Wunder im Spiel; es ist eine rein wissenschaftliche Beobachtung der Interaktion zwischen Geist und Materie im Innern. Man untersucht, wie der Geist den materiellen Körper beeinflusst, und wie der Körper den Geist beeinflusst. Durch geduldige Beobachtung wird das Naturgesetz so klar: Immer wenn man geistige Negativitäten erzeugt, beginnt man zu leiden; und immer wenn man von Negativität frei ist, dann erlebt man Frieden und Harmonie. Diese Technik der Selbstbeobachtung kann von jedem praktiziert werden.

Vor langer Zeit von dem Erleuchteten in Indien gelehrt, verbreitete sich die Technik um die Welt. Und auch heute noch kommen Menschen aus verschiedenen Glaubensgemeinschaften, Traditionen und Religionen und lernen diese Technik, um die gleichen Wohltaten zu erzielen. Sie mögen damit fortfahren, sich Hindus, Buddhisten, Muslims oder Christen zu nennen. Diese Bezeichnungen machen keinen Unterschied - ein Mensch ist ein Mensch. Der Unterschied ist, dass sie durch ihre Praxis wirklich spirituelle Menschen werden, voll von Liebe und Mitgefühl. Was sie machen, ist gut für sie selbst und für alle anderen. Wenn jemand Frieden im Geist erzeugt, dann lädt sich die ganze Atmosphäre um diese Person herum mit den Schwingungen von Frieden auf, und jeder, der dieser Person begegnet, beginnt diesen Frieden zu erfahren. Dieser geistige Wandel ist die tatsächliche Konversion, die wir brauchen. Keine andere Konversion hat Sinn.

Erlauben Sie mir, dass ich eine wohlmeinende Botschaft von Indien an die Welt verlese. Sie wurde vor 2300 Jahren in Stein gemeißelt; es sind die Worte des Kaisers Ashoka des Großen, eines vorbildlichen Politikers, der uns erklärt, wie wir regieren sollen. Er sagt uns: "Man sollte nicht nur seine eigene Religion ehren und andere Glaubensrichtungen verdammen." Das ist eine wichtige Botschaft für unsere heutige Zeit. Indem man andere verdammt und darauf besteht, dass seine eigene Tradition die beste ist, schafft man Schwierigkeiten für die Menschheit. Ashoka fährt fort: "Statt dessen sollte man aus verschiedenen Gründen andere Religionen ehren." Jede Religion, die es wert ist, so genannt zu werden, besitzt einen heilsamen Kern, die Essenz der Liebe, des Mitgefühls und des Wohlwollens - jede Religion. Wir sollten Religionen aufgrund dieser ihrer Essenz verehren. Die äußere Form wird immer verschieden sein; es wird so viele unterschiedliche Riten, Rituale, Zeremonien oder Glaubenssätze geben. Lasst uns über all das nicht streiten, lasst uns statt dessen die Wichtigkeit dieses inneren Kerns erkennen. Wie Ashoka sagt: "Wenn wir das tun, dann helfen wir unserer eigenen Religion zu wachsen und dienen gleichzeitig anderen Religionen. Wenn wir anders handeln, graben wir unserer eigenen Religion das Grab und schaden auch anderen Religionen."

Das ist eine ernste Warnung an uns alle. In Ashokas Worten: "Jemand, der seine eigene Religion verehrt und andere Religionen verdammt, mag dies aus Hingabe an seine eigene Religion tun und denken: ´Ich werde meiner Religion Ruhm zukommen lassen´, aber seine Handlungen werden seiner Religion stattdessen unermesslichen Schaden zufügen."

Schließlich präsentiert Ashoka die Botschaft des universellen Gesetzes, die Botschaft Dhammas: "Mögen alle herhören: Eintracht ist gut, nicht Streit. Mögen alle willens sein, den Lehren zuzuhören, zu denen sich andere bekennen." Statt Meinungsverschiedenheiten auszutragen und andere zu verdammen, lasst uns dem Kern der Lehre einer jeden Religion Wichtigkeit geben. Und dann wird es wirklichen Frieden, wirkliche Harmonie geben.

Die Original-Rede finden Sie unter http://www.executive.dhamma.org/en/unaddress0800.shtml