Vipassana-Lehrer S.N. Goenka als Gastredner beim World Economic Forum 2000 in Davos

S.N. Goenka, Lehrer der Vipassana-Meditation und Gründer von über 75 Vipassana-Meditationszentren in der ganzen Welt, wurde als Teilnehmer und Gastredner zum World Economic Forum nach Davos (Schweiz) eingeladen, das vom 27. Januar bis 1. Februar 2000 stattfand.

Jeden Januar versammeln sich in dem Wintersport-Ort Davos über 1000 führende Persönlichkeiten der ganzen Welt: Vorstände der größten globalen Unternehmen; Ministerpräsidenten und Regierungsvertreter, bedeutende Wissenschaftler und die einflussreichsten Medienbarone. Das jährlich stattfindende World Economic Forum gilt weltweit als das bedeutendste informelle Treffen von führenden Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Gemeinsam werden aktuelle Themen der Wirtschaft, Umwelt, Gesundheit und Kultur diskutiert. Ziel ist die gemeinsame Entwicklung von Lösungsmöglichkeiten für die dringendsten Probleme, mit denen die Menschheit in der heutigen Welt konfrontiert ist. Zu Beginn des neuen Jahrtausends war das Thema des diesjährigen WEFs: "New Beginnings: Making a Difference". Es war das erste Mal, dass bei einem so hochrangigen Treffen über Vipassana gesprochen wurde.

Zukunft von Religion

Was ist die Zukunft von Religion in einer Welt, die maßgeblich von ökonomischen Belangen dominiert wird? Dies war das Thema einer Podiumsdiskussion am Morgen des 27. Januar. Da S.N. Goenka mit der Vipassana-Meditation Menschen sämtlicher religiösen Bekenntnisse und verschiedenster ethnischer Hintergründe erreicht, wurde er um eine Stellungnahme gebeten, wie das Ausüben dieser Technik Dogmen und kulturelle Unterschiede überwindet. Neben S.N. Goenka nahmen ein jüdischer Schriftgelehrter (Richard Block, Israel), ein moslemischer Geistlicher (Kassis Nabeel, Bethlehem), ein chinesischer Philosophieprofessor (Prof. Tu We Ming, Harvard University) und ein Religionsprofessor (Prof. Keith Ward, Oxford University) an der Podiumsdiskussion teil.

In dieser Runde betonte S.N. Goenka, dass moralische Lebensführung, Liebe und Mitgefühl den inneren Kern einer jeden Religion darstellten. Zeremonien, Rituale, Dogmen und philosophische Glaubenssätze repräsentierten dagegen nur die äußere Schale. Es sei wichtig, diese beiden Aspekte nicht zu verwechseln und Menschen nicht aufgrund der "äußeren Schale" zu beurteilen. Vielmehr sollte Wert auf den inneren Kern gelegt werden, welcher den Menschen Frieden, Harmonie und Freude bringe und der unterschiedliche Religionen miteinander verbinde. S.N. Goenka erklärte, warum die Lehre Buddhas nicht sektiererisch ist; warum sie universell, praktisch und ergebnisorientiert ist. Die Lehre einer moralischen Lebensführung hätten alle Religionen gemeinsam, sie sei für alle akzeptabel. Die Lehre der Konzentration des Geistes und der Läuterung des Geistes sei ebenfalls universell und könne von allen akzeptiert werden. Übertriebene Anhaftung an eigene Glaubensvorstellungen und Intoleranz gegenüber anderen Kulturen und deren Glauben verursache Konflikte. Wird jedoch das ganze Gewicht auf die Essenz der verschiedenen Lehren gelegt, wird niemand einen Grund des Anstoßes finden. S.N. Goenka stellte die Idee einer alle Menschen verbindenden Religion vor, die sich auf die Gemeinsamkeiten der verschiedenen Religionen konzentriert. Vipassana stelle eine solche übergeordnete "Religion" dar, mit welcher Menschen weiterhin die unterschiedlichen Traditionen ihrer Kultur pflegen könnten, während sie gleichzeitig eine Methode erhalten, um ein glückliches und ausgeglichenes Leben zu führen. Dadurch könne der Gewalt und den Kriegen im Namen unterschiedlicher Religionen ein Ende gesetzt werden.

Tod: Die Erforschung eines Tabus

Am Abend des 27. Januar nahm S.N. Goenka an einer zweiten Podiumsdiskussion teil. Das Thema lautete: "Tod: Die Erforschung eines Tabus". Die weiteren Teilnehmer waren: Richard Block (jüdischer Schriftgelehrter, Israel), Prof. Kathleen M. Foley (Neurologin, USA) und Prof. Keith Ward (Religionsprofessor, Oxford University). Tod sei ein Tabu, so S.N. Goenka, aufgrund der Angst vor dem Tod. Er erklärte, wie Menschen, die Vipassana praktizieren, Ängste auflösen, indem sie die Wahrheit im Inneren erforschen und so einen Tod frei von Furcht sterben können. Es gebe viele Beispiele von Vipassana-Meditierenden, die in einem vollkommen bewussten und friedlichen Zustand des Geistes gestorben sind. Wenn jemand durch die Praxis von Vipassana Vergänglichkeit am eigenen Körper und Geist erfahre, löse sich die Anhaftung an die eigene körperliche und geistige Struktur. Im gleichen Maße vermindere sich auch die Furcht vor dem Tod.

Ärger: Wie kann man damit umgehen?

"Was soll man tun, wenn man wütend ist?" war das Thema des Abendvortrages von S.N. Goenka am nächsten Tag, an den sich eine Diskussion anschloss. Diskussionspunkt war: In unserer schnellen und wettbewerbsorientierten Welt scheint es mehr Anlässe denn je zu geben sich aufzuregen, wenn Dinge nicht so laufen, wie wir es wünschen. Ärger und Wut kann Beziehungen, Karrieren und die Gesundheit ruinieren. Was kann man tun, um Ärger zu vermeiden? S.N. Goenka erklärte, dass derjenige, der Ärger entwickelt, in Wirklichkeit das erste Opfer seines Ärgers sei. Dies sei ein Gesetz der Natur. Jeder der Ärger entwickle, fühle sich unglücklich und leide selbst darunter. Ärger entstehe, wenn etwas Unerwünschtes passiert oder wenn Wünsche nicht in Erfüllung gehen. Selbst dem mächtigsten Menschen der Welt werden unerwünschte Dinge passieren, und er wird dies nicht verhindern können. Auch wenn jemand weiß, dass Ärger der eigenen Person schadet und er dies verhindern will, ist er dieser Emotion dennoch hilflos ausgeliefert, wenn sie ihn überfällt. Um dieses Problem zu lösen, so S.N. Goenka, müsse die tiefere Ursache von Ärger im Inneren der eigenen Person erforscht werden. Die Ablenkung des eigenen Geistes auf ein anderes Objekt, um so vom Ärger loszukommen, sei keine grundsätzliche Lösung. Nur das objektive Beobachten des Ärgers löse das Problem an der Wurzel. S.N. Goenka erläuterte, wie die Vipassana-Meditationstechnik, bei welcher körperliche Empfindungen gleichmütig beobachtet werden, mit dem Verständnis, dass alle Empfindungen vergänglich sind, dem Einzelnen hilft, sich von seinem Ärger zu befreien.

Die Bedeutung von Glück

Bei seinem letzten Vortrag referierte S.N. Goenka über die Bedeutung von Glück. Jeder Mensch und jede Nation sollte nach materiellem Wachstum und wissenschaftlichen Fortschritt streben, um glücklich zu leben. Doch führe der materielle Wohlstand nur zu echtem Glück, wenn dieser auf der Basis von Spiritualität gewonnen wurde. "Säkulare Spiritualität" helfe dem Einzelnen, seine weltlichen Angelegenheiten erfolgreicher durchzuführen, während gleichzeitig die Erkenntnis wachse, dass materieller Wohlstand, weltliche Vergnügungen, Ruhm und Macht sehr zerbrechlich und kurzlebig seien und somit kein bleibendes Glück verleihen können. S.N. Goenka legte dar, wie Vipassana auf einem einfachen und praktischen Weg zu echtem Glück führt, das die oberflächlichen Sinnesfreuden bei weitem übertreffe. Die Teilnehmer hörten mit großem Interesse zu und stellten anschließend viele Fragen über Vipassana.